Hallo,
zum Thema Hartz Vier gibt es sicher schon unzählige Threads. Ich würde mit diesem hier jedoch gerne eine Grundsatzdiskussion zu den Hartz Vier-Gesetzen und -Praktiken starten.
Ich selbst habe noch keine Erfahrungen mit Hartz Vier gemacht, mache mir jedoch Gedanken darüber, wie es mir erginge, sollte es einmal dazu kommen.
Aufgrund von Existenzängsten bedingt durch psychische und familiäre Probleme kam es fast zwangsläufig dazu, dass ich mich intensiver mit dem Thema befasst habe, sowie Anhänger der Idee für ein bedingungsloses Grundeinkommen geworden bin.
Auslöser für diesen Thread war ein Videovortrag von Ralph Boes, der manchen vielleicht noch als "Hartz Vier-Schnösel" aus einer Maischbergersendung letztes Jahr in Erinnerung geblieben ist. Ralph Boes ist Hartz Vier-Bezieher und leistet bewusst und aktiv Widerstand gegen die Pflichten und Anordnungen, die ihm das Amt auferlegt. Er reist stattdessen durch Deutschland und hält ehrenamtlich Vorträge, in denen er Hartz Vier und das Sanktionssystem für verfassungswidrig und damit auch menschenunwürdig erklärt.
In den Menschenrechtsartikeln des Grundgesetzes ist von der unantastbaren Würde des Menschen die Rede, vom Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, vom Gleichheitsgrundsatz, von freier Berufswahl und dem Verbot von Zwangsarbeit.
Diese Menschenrechte werden im System von Hartz Vier missachtet und übergangen. Sanktionsmaßnahmen führen dazu, dass Menschen mit noch weniger als dem Existenzminimum (!) auskommen müssen und letzten Endes sogar obdachlos werden können, doch selbst ohne Wohnung und Krankenversicherung haben diese Menschen noch den festgelegten Pflichten, die das Schreiben von Bewerbungen beinhalten, nachzukommen.
Ralph Boes zieht in seinem Vortrag einen Vergleich zu Menschen in Privatinsolvenz, die egal wie hoch die Schulden sind, nur bis zur so genannten Pfändungsgrenze belangt werden können, die derzeit bei etwas über 1000 Euro liegt.
Den ohnehin schon Schwächsten der Gesellschaft hingegen wird nicht einmal eine solche Kürzungsgrenze gewährt, sondern diesen kann ihr Minimum an Grundsicherung bis auf den letzten Cent weggekürzt werden. Kommt es dazu, werden sie aufgrund der Krankenkassenpflicht und der nicht mehr vorhandenen Möglichkeit diese zu bezahlen auch noch in Schulden gestürzt. Es gibt auch Boes' Beschreibungen zufolge keinen zu erfüllenden Anspruch auf Lebensmittelgutscheine, da diese eine reine KANN-Leistung darstellen. Wenn das tatsächlich der Realität entspricht, wäre das doch ein unglaublicher Skandal, da man dadurch vom Staat sinnlos gezwungen würde, zu verhungern, sofern man keine Freunde oder Familie hat, die einen unterstützen (abgesehen von der großen Scham, die das bei den Betroffenen auslösen würde). Sinnlos deshalb, da unser heutiger Wohlstand in dieser Überflussgesellschaft absolut ausreicht, um niemanden hungern lassen zu müssen.
Die Jobcenter sprechen von ihren Hartz-Vier-Beziehern als Kunden, aber - entgegen dem Sprichwort vom Kunden als König - werden Hartz-Vier-Bezieher als mittellose Bittsteller regelrecht erpresst und dürfen nicht einmal ihren Wohnort verlassen.
Es gibt noch mehr solcher Euphemismen, es ist von einer "Eingliederungsvereinbarung" die Rede, was mitnichten der Fall ist, denn bei einer Verweigerung wird die entsprechende Forderung einfach als Verwaltungsakt festgesetzt.
Unzählige Hartz Vier-Bescheide landen vor Gericht, wo letztlich mehr als der Hälfte der Kläger Recht gegeben wird.
Wie rechtens und menschenwürdig kann dieses System also sein?
In unserer Gesellschaft scheint nur die "Erwerbsarbeit" von wert zu sein. Was Menschen ehrenamtlich oder privat leisten, scheint egal zu sein, sobald es sich dabei um einen Menschen handelt, der Geld vom Staat bezieht und dabei den Steuerzahlern "auf der Tasche liegt". Und offenbar scheint man es in dieser Gesellschaft mehr zu honorieren wenn jemand eine sinnlose Arbeit ausübt, wie es eine Tätigkeit in der Zigarettenindustrie wäre, als wenn sich jemand wie Ralph Boes ehrenamtlich für die Schwächsten unserer Gesellschaft einsetzt und nebenbei Geld vom Amt erhält.
Warum gibt es keine ernsthaftere Aufregung über die Schwindel erregenden Einkommen von Reichen, die immer weiter steigen? Ein gutes Beispiel ist der Profisport Fußball, worüber zwar oft debattiert wurde, sich jedoch nichts wirklich getan hat.
Warum können unsere regierenden Politiker Millionen für Bahnhöfe und Flughäfen verprassen, weil sie sich verkalkuliert haben und werden dafür nicht zur Rechenschaft gezogen?
Warum werden hingegen Menschen verachtet, die mit einem Minimum an Geld auskommen müssen und neben der gesellschaftlichen Ächtung noch Willkür, Schikane und Sanktionen fürchten müssen, wenn sie nicht spuren?
Findet ihr auch, dass in so einer Zweiklassengesellschaft nicht ein Grundeinkommen eine Lösung wäre, das die prekären Verhältnisse deutlich verbessern würde? Jedem Bürger würde damit ein bedingungsloses Existenzrecht zugesprochen und ein selbstbestimmtes, angstfreies Leben ermöglicht. (Es geht mir erstmal nicht um die Umsetzung, nur um die Idee an sich)
Die gegenwärtigen Verhältnisse machen viele krank (mich eingeschlossen). Und ich halte es für nicht verwunderlich, dass es Menschen gibt, die innerhalb dieses Systems trotzig werden und sich gegen diese Art von Behandlung auflehnen oder aber resignieren.
Es wird einem depressiven Menschen doch immer versucht seinen inhärenten Wert klar zu machen, in der Realität müssen wir uns alle aber offenbar erst unseren Wert und ein menschenwürdiges Leben verdienen und haben nicht einmal einen Anspruch auf elementare Grundrechte.
Genannter Vortrag von Ralph Boes: http://www.youtube.com/watch?v=YRo7E_jP7KM&hd=1
Außerdem ein Vortrag bzw. ein Gespräch mit Götz Werner (Gründer der Drogeriekette dm und Verfechter des bedingungslosen Grundeinkommens): http://www.youtube.com/watch?v=SnLB7K-HJkI&hd=1
Die Vorträge sind beide recht lang, aber wirklich sehr sehenswert meiner Meinung nach.
Würde mich über einen regen Meinungsaustausch sehr freuen.
Grüße
scorpion
zum Thema Hartz Vier gibt es sicher schon unzählige Threads. Ich würde mit diesem hier jedoch gerne eine Grundsatzdiskussion zu den Hartz Vier-Gesetzen und -Praktiken starten.
Ich selbst habe noch keine Erfahrungen mit Hartz Vier gemacht, mache mir jedoch Gedanken darüber, wie es mir erginge, sollte es einmal dazu kommen.
Aufgrund von Existenzängsten bedingt durch psychische und familiäre Probleme kam es fast zwangsläufig dazu, dass ich mich intensiver mit dem Thema befasst habe, sowie Anhänger der Idee für ein bedingungsloses Grundeinkommen geworden bin.
Auslöser für diesen Thread war ein Videovortrag von Ralph Boes, der manchen vielleicht noch als "Hartz Vier-Schnösel" aus einer Maischbergersendung letztes Jahr in Erinnerung geblieben ist. Ralph Boes ist Hartz Vier-Bezieher und leistet bewusst und aktiv Widerstand gegen die Pflichten und Anordnungen, die ihm das Amt auferlegt. Er reist stattdessen durch Deutschland und hält ehrenamtlich Vorträge, in denen er Hartz Vier und das Sanktionssystem für verfassungswidrig und damit auch menschenunwürdig erklärt.
In den Menschenrechtsartikeln des Grundgesetzes ist von der unantastbaren Würde des Menschen die Rede, vom Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, vom Gleichheitsgrundsatz, von freier Berufswahl und dem Verbot von Zwangsarbeit.
Diese Menschenrechte werden im System von Hartz Vier missachtet und übergangen. Sanktionsmaßnahmen führen dazu, dass Menschen mit noch weniger als dem Existenzminimum (!) auskommen müssen und letzten Endes sogar obdachlos werden können, doch selbst ohne Wohnung und Krankenversicherung haben diese Menschen noch den festgelegten Pflichten, die das Schreiben von Bewerbungen beinhalten, nachzukommen.
Ralph Boes zieht in seinem Vortrag einen Vergleich zu Menschen in Privatinsolvenz, die egal wie hoch die Schulden sind, nur bis zur so genannten Pfändungsgrenze belangt werden können, die derzeit bei etwas über 1000 Euro liegt.
Den ohnehin schon Schwächsten der Gesellschaft hingegen wird nicht einmal eine solche Kürzungsgrenze gewährt, sondern diesen kann ihr Minimum an Grundsicherung bis auf den letzten Cent weggekürzt werden. Kommt es dazu, werden sie aufgrund der Krankenkassenpflicht und der nicht mehr vorhandenen Möglichkeit diese zu bezahlen auch noch in Schulden gestürzt. Es gibt auch Boes' Beschreibungen zufolge keinen zu erfüllenden Anspruch auf Lebensmittelgutscheine, da diese eine reine KANN-Leistung darstellen. Wenn das tatsächlich der Realität entspricht, wäre das doch ein unglaublicher Skandal, da man dadurch vom Staat sinnlos gezwungen würde, zu verhungern, sofern man keine Freunde oder Familie hat, die einen unterstützen (abgesehen von der großen Scham, die das bei den Betroffenen auslösen würde). Sinnlos deshalb, da unser heutiger Wohlstand in dieser Überflussgesellschaft absolut ausreicht, um niemanden hungern lassen zu müssen.
Die Jobcenter sprechen von ihren Hartz-Vier-Beziehern als Kunden, aber - entgegen dem Sprichwort vom Kunden als König - werden Hartz-Vier-Bezieher als mittellose Bittsteller regelrecht erpresst und dürfen nicht einmal ihren Wohnort verlassen.
Es gibt noch mehr solcher Euphemismen, es ist von einer "Eingliederungsvereinbarung" die Rede, was mitnichten der Fall ist, denn bei einer Verweigerung wird die entsprechende Forderung einfach als Verwaltungsakt festgesetzt.
Unzählige Hartz Vier-Bescheide landen vor Gericht, wo letztlich mehr als der Hälfte der Kläger Recht gegeben wird.
Wie rechtens und menschenwürdig kann dieses System also sein?
In unserer Gesellschaft scheint nur die "Erwerbsarbeit" von wert zu sein. Was Menschen ehrenamtlich oder privat leisten, scheint egal zu sein, sobald es sich dabei um einen Menschen handelt, der Geld vom Staat bezieht und dabei den Steuerzahlern "auf der Tasche liegt". Und offenbar scheint man es in dieser Gesellschaft mehr zu honorieren wenn jemand eine sinnlose Arbeit ausübt, wie es eine Tätigkeit in der Zigarettenindustrie wäre, als wenn sich jemand wie Ralph Boes ehrenamtlich für die Schwächsten unserer Gesellschaft einsetzt und nebenbei Geld vom Amt erhält.
Warum gibt es keine ernsthaftere Aufregung über die Schwindel erregenden Einkommen von Reichen, die immer weiter steigen? Ein gutes Beispiel ist der Profisport Fußball, worüber zwar oft debattiert wurde, sich jedoch nichts wirklich getan hat.
Warum können unsere regierenden Politiker Millionen für Bahnhöfe und Flughäfen verprassen, weil sie sich verkalkuliert haben und werden dafür nicht zur Rechenschaft gezogen?
Warum werden hingegen Menschen verachtet, die mit einem Minimum an Geld auskommen müssen und neben der gesellschaftlichen Ächtung noch Willkür, Schikane und Sanktionen fürchten müssen, wenn sie nicht spuren?
Findet ihr auch, dass in so einer Zweiklassengesellschaft nicht ein Grundeinkommen eine Lösung wäre, das die prekären Verhältnisse deutlich verbessern würde? Jedem Bürger würde damit ein bedingungsloses Existenzrecht zugesprochen und ein selbstbestimmtes, angstfreies Leben ermöglicht. (Es geht mir erstmal nicht um die Umsetzung, nur um die Idee an sich)
Die gegenwärtigen Verhältnisse machen viele krank (mich eingeschlossen). Und ich halte es für nicht verwunderlich, dass es Menschen gibt, die innerhalb dieses Systems trotzig werden und sich gegen diese Art von Behandlung auflehnen oder aber resignieren.
Es wird einem depressiven Menschen doch immer versucht seinen inhärenten Wert klar zu machen, in der Realität müssen wir uns alle aber offenbar erst unseren Wert und ein menschenwürdiges Leben verdienen und haben nicht einmal einen Anspruch auf elementare Grundrechte.
Genannter Vortrag von Ralph Boes: http://www.youtube.com/watch?v=YRo7E_jP7KM&hd=1
Außerdem ein Vortrag bzw. ein Gespräch mit Götz Werner (Gründer der Drogeriekette dm und Verfechter des bedingungslosen Grundeinkommens): http://www.youtube.com/watch?v=SnLB7K-HJkI&hd=1
Die Vorträge sind beide recht lang, aber wirklich sehr sehenswert meiner Meinung nach.
Würde mich über einen regen Meinungsaustausch sehr freuen.
Grüße
scorpion